Du kannst alles haben, aber nicht alles gleichzeitig

Dir ist das bestimmt schon mal selbst bewusst geworden. Vielleicht war dein Leben zu 100 % der Arbeit gewidmet, aber dann kamen Kinder hinzu, oder du hast jedes Wochenende mit Freunden verbracht, aber dann hast du jemanden kennengelernt oder eine neue berufliche Herausforderung angenommen. Die Work-Life-Balance gerät durch solche Veränderungen vollkommen durcheinander.

Zum ersten Mal habe ich bei James Clear von der Vier-Brenner-Theorie gelesen. Dieses Modell bietet eine Möglichkeit, über die Work-Life-Balance nachzudenken.

Stell dir einen Gasherd mit vier Brennern vor. Jeder davon repräsentiert einen wichtigen Lebensbereich:

  1. Arbeit
  2. Familie
  3. Freunde
  4. Gesundheit

Laut dieser Theorie, deren Ursprung unbekannt ist, aber von David Sedaris in einem Artikel des New Yorkers von 2009 erklärt wird, musst du, „um erfolgreich zu sein, […] einen deiner Brenner abschalten. Und um wirklich erfolgreich zu sein, musst du zwei abschalten“.

Die Erkenntnis ist sowohl ernüchternd als auch logisch. Um in einem Bereich erfolgreich zu sein, sind oft Kompromisse oder sogar Opfer in anderen Lebensbereichen erforderlich. Es ist unmöglich, alle vier Brenner gleichzeitig mit voller Kraft brennen zu lassen. Lässt sich das irgendwie umgehen? Für kurze Zeit vielleicht, aber auf Dauer hat niemand die Zeit und Energie dafür. Also entweder Bereiche komplett abschalten (Karriere auf Kosten der Gesundheit und/oder der Familie?) oder in der Mittelmäßigkeit verharren und dabei nichts wirklich erfolgreich machen? Beides keine berauschenden Aussichten, es entlastet aber auch, weil der (eigene) Anspruch, in allen Bereichen Erfolg zu haben, unrealistisch ist. Im Grunde genommen sind wir gezwungen, uns zu entscheiden. Würden wir lieber ein Leben führen, das unausgeglichen ist, aber in einem bestimmten Bereich Höchstleistungen erbringt? Oder würden wir lieber ein Leben führen, das zwar ausgewogen ist, aber in keinem einzigen Quadranten unser Potenzial ausschöpfen?

In seinem Blog-Artikel schlägt James Clear drei Optionen vor, wie man mit diesen Problem der Work-Life-Balance umgehen könnte: (1) Die Brenner werden am Laufen gehalten, indem bestimmte Aspekte ausgelagert werden – zum Beispiel kann durch die Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter:innen mehr Zeit für die Familie gewonnen werden, oder die Einstellung eines Babysitters schafft etwas Freiraum, um zum Sport gehen zu können. (2) Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich nicht mehr darauf zu fokussieren, mehr Zeit zu haben, sondern die vorhandene Zeit maximal zu nutzen. Mit anderen Worten: Man akzeptiert seine Grenzen.

Am interessantesten finde ich jedoch (3) seine letzte Option. Hierbei geht es darum, sich sein Leben in Lebensabschnitte aufgeteilt vorzustellen und sich je nach Abschnitt auf einen bestimmten Bereich zu konzentrieren, anstatt immer nach der perfekten Work-Life-Balance zu suchen. Die Priorität der Bereiche ändert sich dabei im Laufe des Lebens. Wenn man jünger ist und keine Kinder hat, hat man eher die Zeit, seine Karriere voranzutreiben und ins Fitnessstudio zu gehen. Später nehmen Kinder dann vielleicht einen wichtigen Platz ein und man hat nicht mehr so viel Zeit für die Arbeit oder die eigene Gesundheit. Mit Anfang 40 sieht die Verteilung bei mir persönlich aktuell ungefähr so aus: 40 % Arbeit, 40 % Familie und jeweils 10 % für Freunde und Gesundheit. Aber ich habe als Lehrer auch den Vorteil, dass ich mir einen gewissen Anteil der Arbeitszeit flexibel einteilen kann und so gut mit der Familie vereinbaren kann. Und dann sind da ja auch noch die Ferien. Die anderen Bereiche kommen jedoch definitiv zu kurz – besonders die Gesundheit.

Die Vier-Brenner-Theorie verdeutlicht, dass man nicht alles haben kann – zumindest nicht gleichzeitig, denn jeder hat nur begrenzte Zeit und Energie zur Verfügung. Jede Entscheidung hat also ihren Preis. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die im ersten Moment vielleicht frustrierend ist, aber gleichzeitig auch befreiend sein kann. Obwohl das Modell diesen Aspekt gut auf den Punkt bringt, vereinfacht es auf der anderen Seite stark. Sicherlich hat jeder mehr als nur vier „Brenner“ am Laufen (z.B. persönliche Entwicklung, Hobbys, Nebenprojekte, Ehrenamt) und meiner Ansicht nach lassen sich Bereiche auch miteinander verbinden und dadurch in gewissem Umfang entlasten (z.B. Sport mit Freunden oder in einem Verein, Arbeitskolleginnen und Kollegen werden zu Freunden).

Foto von Ilse Driessen auf Unsplash